Beate Hanspach

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Festivalpräsidentin Beate Hanspach bei den abendlichen Fachgesprächen

Fernseh-Dramaturgin, Präsidentin des Festivals 1981 und 1983

Februar 1981. Winterferien. Der GOLDENE SPATZ, das „Nationale Festival für Kinderfilme der DDR in Kino und Fernsehen“ findet zum zweiten Mal in Gera statt. Die Kinder strömen in Scharen ins Kino. Etwa 50 Gespräche mit dem Publikum finden statt. Das gehört zu meinen nachhaltigsten Erinnerungen an diesen Jahrgang.

Dank der Filmwochen für Kinder, die im Bezirk Gera seit 1968 veranstaltet wurden, bestand eine gute Verbindung zwischen den Kinoleuten und den Schulen. Die Kinder waren es gewohnt, auf Filmschaffende zu treffen und mit ihnen zu sprechen. Mir, als Dramaturgin im Kinderfernsehen, und meinen Fernsehkollegen bot das Festival die einzigartige Möglichkeit, mitten unter Kindern die Reaktionen auf unsere Sendungen zu erleben und so Wirkungsabsichten zu überprüfen. Für DEFA-Kollegen gab es ja im Kino immer den Kontakt zum Publikum. Außerdem wurden erstmals 1966 und seit 1967 aller zwei Jahre in verschiedenen Großstädten DEFA-Kinderfilmwochen veranstaltet. Das Fernsehen, das sich von der Live-Produktion zur elektromagnetischen Aufzeichnung entwickelt hatte, stellte zu dieser Zeit nur vereinzelt kinotaugliche Kinderfilme her, mit denen es dann ab 1973 an den DDR-Kinderfilmwochen teilnahm.

Der Erfolg all dieser Veranstaltungen gab den Ausschlag, ein bilaterales Festival für Kinderfilme in Kino und Fernsehen zu veranstalten. Doch erst bei der zweiten Edition war es technisch und organisatorisch möglich, elektromagnetisch aufgezeichnete Sendungen auf Fernsehapparaten vorzuführen. Zwei Tage standen dafür zur Verfügung. Immerhin war das Fernsehen im audiovisuellen Bereich zum wichtigsten Kindermedium geworden. Nun sollte es sich im gleichberechtigten Wettbewerb zum Kinofilm behaupten.

Ein Zeichen für bereits praktizierte Gleichberechtigung im Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR war, dass ich zur Präsidentin des Festivalkomitees berufen wurde und gemeinsam mit hoch motivierten Kollegen aller DEFA-Studios (Spielfilm, Dokumentarfilm, Trickfilm) und der verschiedenen Kinderfernsehredaktionen die inhaltlichen Aspekte des Festivals vorbereiten konnte. Neben den Gesprächen mit den Kindern waren es die Fachgespräche im Kollegenkreis, die den so gewollten Arbeitscharakter des Festivals ausmachten. In Gera trafen sich ja nicht nur Regisseure, Autoren, Dramaturgen, Redakteure, Pädagogen, Journalisten mit den Leitungen der Studios bzw. der Fernsehredaktionen und dem Filmverleih, sondern auch andere wesentliche Mitarbeiter der ausgewählten Festivalbeiträge wie Komponisten, Animatoren, Kameraleute, Produktionsleiter, Szenen- und Kostümbildner. Wir lernten uns besser kennen und interessierten uns über Studiogrenzen hinweg für die Arbeit und die Meinungen unserer „Konkurrenten“ und natürlich für die Bewertungen durch die Juroren der Fach- und der Kinderjury. Es wurde aber auch nach übergreifenden theoretischen Überlegungen verlangt.

Von den Anfängen der Zuschauerforschung waren keine relevanten Aussagen zu Kindersendungen zu erwarten. Rezensionen von Filmen für Kinder gab es nur sporadisch. In den Konzeptionen der Studios und des Fernsehens wurden politischer Auftrag und pädagogische Anliegen formuliert. Wir wollten mehr. Wir wollten Freiräume ausschreiten, die bei einer Kunst für Kinder möglich schienen. Dazu brauchten wir Argumente, Kenntnisse, Erfahrungen. Über Grundsätze waren wir uns längst einig: So wie es Literatur und Theater für Kinder gibt, muss es auch Filme geben, die speziell für Kinder verschiedener Altersgruppen gemacht sind. Die materiellen Voraussetzungen waren gegeben und sollten auch künftig gesichert bleiben: 25 Prozent der Jahresgesamtkapazität der DEFA stehen dem Kinderfilm zur Verfügung. Dazu gehören umfangreiche Programme im Kinderfernsehen, darunter jährlich drei bis vier Spielfilme (als 35mm-Kopien). Weil das Publikum dieser Produktionen auch das Publikum von morgen sein wird, leitet sich eine doppelte Verantwortung für Inhalte und Gestaltungsweisen ab. Kinder brauchen künstlerisch wertvolle Filme, an denen sie sich erfreuen, die für sie zu wichtigen Erlebnissen werden und durch die sie emotional wachsen. Kinder sind unsere Partner. Wir nehmen sie ernst. Wie solche Maximen während der letzten zwei Jahre verwirklicht wurden, sollte auf dem Festival erörtert werden.

Zeitzeugen mögen mich korrigieren, aber ich erinnere mich an einen freimütigen, sehr kritischen Meinungsstreit, der sich 1981 vor allem um den Spielfilm in Kino und Fernsehen drehte, einbezogen die vorwiegend in Studiodekorationen produzierten Fernsehspiele. „Zu den positiven Ergebnissen des Festivals gehört, dass der gleichberechtigte Umgang mit dem Kinderfilm einerseits fürs Kino und andererseits fürs Fernsehen, wie er bei den Kinderfilmmachern schon lange geübt wird, nun auch öffentlich außer Zweifel steht“, stellte der Regisseur Walter Beck in seiner Vorbemerkung zur Publikation „Film für Kinder“ der Schriftenreihe Podium und Werkstatt des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden fest. Die Publikation in Auswertung der während des Festivals gehaltenen Diskussionsbeiträge regte zu weiteren Veranstaltungen des Verbandes über theoretische Fragen an und zählte zu den wichtigsten Auswirkungen dieses Jahrgangs.

In Gera stand jeder Gesprächsabend unter einem Thema. Eingeleitet durch einen theoretischen Beitrag wurden die „richtige“ Märchenverfilmung, Gegenwart im Kinderfilm, Erlebnis Geschichte, Möglichkeiten des Kinderfernsehens diskutiert, ausgehend vom Festivalprogramm. Es bestand aus 14 Spielfilmen und Fernsehspielen, 18 Dokumentarfilmen und Beiträgen der Fernsehpublizistik, 26 Animationsfilmen. Schon allein durch das konzentrierte Anschauen der verschiedenen Gattungen und Genres war das Festival eine „Schule des Kinderfilms“, wie ein ausländischer Gast bemerkte. Übrigens folgten von Jahrgang zu Jahrgang immer mehr Gäste aus „Ost und West“ der Einladung zum GOLDENEN SPATZ und beteiligten sich an den Bewertungen. Die Fachgespräche bestätigten die Vielfalt der damaligen Produktionen, verwiesen aber ausdrücklich auf thematische Lücken vor allem beim Gegenwartsfilm und auf Mängel bei der Gestaltung. Solche Einschätzungen und besonders die Preisvergaben durch Kinder und Fachkollegen machten Mut, Begonnenes fortzusetzen oder nach neuen, eigenen Wegen zu suchen, nach Originalität, nach eigener Handschrift.

1981 kam es zu erfreulichen Übereinstimmungen zwischen der Publikumsmeinung und den Wertungen der Fachjury, die die GOLDENEN SPATZEN vergab, sowie der Kinderjury. So wurden der DEFA-Spielfilm MAX UND SIEBENEINHALB JUNGEN von Manfred Freitag und Joachim Nestler (Buch) und Egon Schlegel (Regie) und der DEFA-Dokumentarfilm JEDER LACHT SO GUT ER KANN von Peter Ensikat (Buch) und Günter Meyer (Buch und Regie) jeweils mit dem GOLDENEN SPATZ und einem Ehrenpreis der Kinderjury ausgezeichnet. Davon ließen sich allgemeine Kriterien für einen guten Kinderfilm ableiten, Kriterien, die sowohl für das Kinderpublikum wie für die Filmemacher entscheidend waren. Sehr deutlich zeigte sich der Wunsch der Kinder nach Heiterkeit. Ein Wunsch, der verbunden mit inhaltlichem und gestalterischem Anspruch sehr selten erfüllt wurde.

Inwieweit sich Preise und Diskussionsergebnisse auf die Filmpolitik „von oben nach unten“ auswirkten, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall erhöhte sich durch das Festival die öffentliche Wertschätzung des Films für Kinder. Die Resonanz in den Medien, in Presse, Radio und Fernsehen stieg an. Das Selbstvertrauen der Kinderfilmszene wuchs. Das half, den stetig wachsenden Wünschen nach verbesserten Produktionsbedingungen mehr Nachdruck zu verleihen und renommierte Künstler, Autoren, Schauspieler für die Zusammenarbeit zu gewinnen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie sehr ästhetische Ansichten und Überzeugungen durch die kritische Bewertung der auf dem Festival präsentierten Arbeiten gestärkt oder erschüttert werden können.

Damals löste ein Film, bei dem ich Dramaturgin war, heftige Debatten aus: der Märchenfilm GEVATTER TOD von Wera und Claus Küchenmeister (Buch, nach dem Märchen der Brüder Grimm) und Wolfgang Hübner (Regie). Die Einwände kamen bereits bei der Drehbucherarbeitung. Es ging um die Zumutbarkeit. Sollen Kinder mit dem Thema Tod konfrontiert werden? Erwarten Kinder vom Märchenfilm nicht eigentlich eine heile Welt? Schadet oder nützt eine konkrete historische Ansiedelung diesem Märchenstoff? Die Diskussion setzte sich auf dem Festival während der Abendgespräche fort, mit dem Ergebnis: Es ist möglich, beim Film für Kinder etwas zu wagen und nach anspruchsvollen Geschichten zu streben, die Kindern einiges abverlangen. Jede filmische Märcheninterpretation kann immer nur ein Vorschlag sein. Wesentlich ist, dass ein Märchenfilm dem Bedürfnis der Kinder nach Phantasie gerecht wird. Zustimmung fand in diesem Zusammenhang die Auffassung von Wera Küchenmeister: „Phantasie, nicht um Kinder aus der Wirklichkeit heraus zu treiben, sondern Phantasie, um sie heranzuführen an die Wirklichkeit.“ Der Film GEVATTER TOD wurde als gelungener zeitgemäßer Interpretationsvorschlag für ein Märchen empfunden, als „Beispiel, das weitergehende Experimente auf diesem Gebiet ermutigen und auslösen sollte“ (Heinz Hofmann, Vorsitzender der Fachjury). Der Film erhielt den Ehrenpreis des Ministers für Kultur, der Schauspieler Dieter Franke „für seine Rollengestaltung in diesem Film und seinen schöpferischen Anteil am Film- und Fernsehschaffen für Kinder“ ein Ehrendiplom. Später lief der Film auch im Kino.

Nur durch das Festival fand eine Produktion des Fernsehens solche Beachtung. Auf Sendungen, die lediglich im Kinderfernsehen ausgestrahlt wurden, gab es kaum Reaktionen. Vielleicht Zuschauerpost. Gelegentlich äußerten sich interessierte Kollegen, selten Kritiker. Auf dem Festival dagegen hatte jeder Beitrag sein „zweites Leben“. Er musste im Wettbewerb mit anderen bestehen und jeder Beteiligte konnte sich in diesem Vergleich selbstkritisch ein Urteil bilden. Von daher kamen wesentliche Anstöße für die weitere Arbeit.

Dass die Gespräche mit dem Kinderpublikum gleichermaßen Fernsehleuten wie Kinofilmern Anregungen gaben, vorausgesetzt es gelang, die wirkliche Meinung der Kinder herauszuhören, ein offenes Ohr für Zwischentöne und Kritik zu behalten und nicht selbstgefällig nur Lobendes zu registrieren, wird jeder bestätigen, der damals dabei war. Oftmals stellte sich heraus, dass wir die Kinder unterschätzt hatten. Zwar konnten sie kein ästhetisch fundiertes Urteil abgeben, aber sie konnten sehr wohl sagen, was ihnen gefallen hat und was nicht. Aussagen genug, um daraus Schlussfolgerungen für Bedürfnisse der Kinder zu ziehen und für neue Vorhaben zu berücksichtigen – um dann auf kommenden Festivals wieder dabei zu sein.