Forum 1: Elektronische Spiele - Konkurrenz zu Fernsehen und Film?

Aus Spatzwiki - Das Archiv zum GOLDENEN SPATZ
Version vom 15. April 2009, 09:38 Uhr von Admin (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: Zum Auftakt des ersten Forums zeigten vier Pixel Kids ihren Kurzfilm "Abhängen oder Tüfteln", der für den Offenen Kanal Gera entstand. Bei der Befragung dreier Jungs...)

(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu: Navigation, Suche

Zum Auftakt des ersten Forums zeigten vier Pixel Kids ihren Kurzfilm "Abhängen oder Tüfteln", der für den Offenen Kanal Gera entstand. Bei der Befragung dreier Jungs, die regelmäßig Videospiele nutzen, wurde zweierlei deutlich: Zum einen entscheiden sie sich im Einzelfall für ein Videospiel statt des TV-Geräts, weil man beim Fernsehen nur zusehen kann, während man "beim Computer auch selbst was machen kann." Zum anderen wird Fernsehen als entspannender wahrgenommen als Computerspiele: "Nach zwei Stunden Videospiel fallen mir die Augen zu!"

In zwei Statements vermittelten der Direktor des Computerspiele Museum in Berlin, Andreas Lange, und Jürgen Sleegers, Mitarbeiter der Fachhochschule Köln, Einblicke in Entwicklung und Nutzung elektronischer Spiele. Warum heißt das Videospiel eigentlich Video-Spiel? Lange beantwortete diese Frage mit dem Hinweis, dass dieses Wort zunächst nur anzeigte, dass Videospiele wie Videorecorder am TV-Gerät betrieben wurden. Die Anlehnung der Bezeichnung an das vertrautere Medium wurde wahrscheinlich wegen der besseren Verkaufbarkeit gewählt.

Lange zeigte auf, dass sich die Spielewelten im Computer von Anfang an bekannten Mustern von Film und Fernsehen orientierten. So tauchen nicht nur Optik und Sound filmischer Medien, sondern auch gängige Inhalte oft als Klischees in Computerspielen wieder auf. Vor allem im Genre der Adventure-Spiele stellt sich bei oberflächlicher Betrachtung der historischen Entwicklung der Eindruck ein, dass der Film- und Fernsehästhetik eine Art Leitbildfunktion für die digitalen Spiele zukommt. Während der technische Fortschritt seit dem ersten Videospiel "Odyssee" von 1972 eine schrittweise Annäherung der Oberflächen von Games und Filmen begünstigt, bestehen nach Lange grundsätzliche Unterschied im Wirklichkeitsbezug und der Rezipientenrolle: Die digitalen Medien erweitern den Abbildungscharakter der traditionellen elektronischen Medien um die Komponente der aktiven Einflussnahme des Rezipienten. Neueste Entwicklungen wie die kürzlich vorgestellte X-Box legen den Schluss nahe, dass dank höherer Rechnerleistungen und realistischerer Grafiken die interaktiven Elemente in neuen Games zunehmen werden.

Im Hinblick auf das Recycling traditioneller Erzählformen und -inhalte stellte der Gründer des ersten Computerspiele-Museums die These auf, dass Computerspiele nicht nur bereits bekannte Geschichten nachspielbar machen, sondern sie zugleich dekonstruieren. Mit anderen Worten: Im Kontrast zum traditionellen Erzähler geht es dem Game Designer "weniger darum, Geschichten zu erzählen, als darum, Geschichten zu zerstören."

Auf die Ausgangsfrage nach der Konkurrenzverhältnis gab Lange eine eindeutige Antwort: "Video und Videospiel werden auch zukünftig koexistieren." Denn beide Medien erfüllen unterschiedliche Ansprüche und stellen phänomenologisch gesehen eigenständige Kategorien dar. Zudem haben solche neu entwickelten Medien bisher ältere Medien wie das Buch keineswegs verdrängt.

In seinem Vortrag gab Sleegers einen systematischen Überblick über Entwicklung, Struktur, Genres und Nutzung der Computerspiele und deren Verwandtschaft mit dem Fernsehen. Ausgehend vom simplen Spielepionier "Pong" (1972) hat sich eine beachtliche Genre-Vielfalt entwickelt: Adventure, Action, Denk- und Knobelspiele, Simulationen und Strategiespiele. Bei den Action-Spielen unterschied der Kölner Medienforscher etwa Beat'em Up- und Jump'n Run-Spiele, während er bei den Strategiespielen den rundenbasierten Turn-Modus vom Realtime-Modus abgrenzte, der wegen der Echtzeit-Reaktionen höhere Anforderungen an die Nutzer stellt.

In der anschließenden Diskussion wies K.-Peter Gerstenberger, der Leiter der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) angesichts der anhaltenden Gewaltdebatte darauf hin, dass nur rund fünf Prozent der USK-geprüften Titel die Bewertung "nicht geeignet unter 18 Jahren" erhielten und in den letzten fünf Jahren nur ein Prozent der 4.700 Titel indiziert wurden. Etwa die Hälfte aller Spiele, die der USK vorgelegt würden, seien dagegen für Nutzer ab null Jahre oder ab sechs Jahre empfohlen worden. Martin Bayer, Chief Operating Officer des Spieleherstellers Terratools und Mitglied der Games Academy in Berlin, betonte, dass die Academy dafür sorgen wolle, dass hierzulande mehr gute Spiele hergestellt werden. Schließlich sei Deutschland der zweitgrößte Spiele-Software-Markt der Welt. Der Löwenanteil der Computerspiele wird dagegen derzeit in den USA, Japan, Großbritannien und Frankreich entwickelt und produziert.

Nach seinen Beobachtungen ist neuerdings eine Diversifizierung des Nutzerkreises festzustellen: Während sich bislang vor allem junge Männer zwischen 16 und 28 Jahren mit Computerspielen beschäftigten, greifen zunehmend auch Frauen und ältere Menschen zu den Games, womit diese auch für Kinder immer selbstverständlicher werden. Der Trend geht also vom Hard Core Gamer zum Casual Gamer. Auf die Frage nach den Folgen des begrenzten kindlichen Zeitbudgets sagte Bayer, das klassische Fernsehen werde als typisches Konsummedium trotz einer gewissen Konvergenz auch künftig weiterbestehen. Auch Gerstenberger rechnet nicht damit, dass sich TV und Games ersetzen. Während Spielfilme über die emotionale Anteilnahme Identifikationen mit den Helden ermöglichten, erwarteten die Nutzer dies von Spielen gar nicht: "Spiele sind im Grunde Problemkonstruktionen."

Nach Ansicht Gerstenbergers sind die von Kino und Video gewohnten Zugangsbeschränkungen, die ursprünglich für den öffentlichen Raum konzipiert waren, im Zeitalter des Internets keine geeigneten Mittel des Jugendschutzes mehr. Künftig gelte es statt dessen, mehr über Qualität zu diskutieren. Gerstenberger schlug in diesem Zusammenhang vor, nach dem Vorbild der TV-Sendung "Literarisches Quartett" ein "Digitales Quartett" zu gründen. Eine weitere originelle Idee: Oscars für Computerspiele.