Forum 2: Unter Ausschluß der Zielgruppe? Konsequenzen der Altersfreigabe für die Filmwirtschaft

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Version vom 15. April 2009, 09:32 Uhr von Admin (Diskussion | Beiträge)

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Zu Beginn des zweiten Forum referierte Christiane von Wahlert von der SPIO und FSK anhand von statistischem Material über das Verhältnis von Altersfreigaben und Kinobesuch. In Deutschland ist der Bereich der Alterfreigabe hochgradig durchreguliert, der Jugendschutz ein hohes Gut.
Seit 1959 hat sich der Anteil an sogenannten „jugendfreien“ Filmen stetig erhöht, seit 1990 liegt er bei ungefähr 75%. Nur kurz am Rande und zur Erheiterung der Tagungsteilnehmer wurde erwähnt, daß dieser Anteil 1970 mit ca. 20% extrem niedrig war, in dem Jahr nämlich, als Filme wie „Wilden Stuten“ oder „Schulmädchenreport“ ins Kino kamen...
Interessant ist das Verhältnis des Kinobesuchs zu den FSK-Freigaben. Dabei wurde festgestellt, daß der höchste durchschnittliche Kinobesuch auf Filme ohne Altersbeschränkung und der niedrigste auf Filme ohne FSK fällt. An zweiter Stelle stehen Filme mit der Freigabe ab 6, danach folgen ohne großen Sprung die Filme ab 12. Um also eine breite Auswertung zu erreichen, müssen Filme jugendaffin sein. Im Umkehrschluß heißt das allerdings auch, je höher das Freigabe-Alter gesetzt wird, desto weniger Gewinne lassen sich derzeit mit einem Film machen. Daß Filme erst ab 18 gesehen werden dürfen, bewirkt nicht – wie manchmal vermutet – irgendeinen Besuchsreiz bzw. ein „Kinogeh- Motiv“.

In ihren weiteren Ausführungen problematisierte Christiane von Wahlert den Fakt, daß Jugendschutz ausgrenzt und die Überlegungen, Elternrecht über die staatliche Reglementierung zu setzen bzw. Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, in Begleitung der Eltern einen Film der nächsthöheren FSK-Einstufung zu sehen.

Zur anschließenden Podiumsdiskussion bat der Journalist Klaus-Dieter Felsmann Uschi Reich von der Bavaria Filmverleih- und Produktions GmbH, Gabriele Rosslenbroich (HdF), den Regisseur von „Die grüne Wolke“, Claus Strigel, sowie Brigitta Manthey vom Filmboard Berlin-Brandenburg auf die Bühne. Klaus-Dieter Felsmann verwies auf die Debatten beim letzten Deutschen Kinder-Film&Fernseh- Festival Goldener Spatz und bei den Medientagen in München, bei denen Veränderungen in Bezug auf die Altersfreigaben gefordert wurden.

Anlaß war – wie Claus Strigel darlegte – der „strittige Einzelfall: Grüne Wolke“. Am 5.4.2001 hatte Constantin den Kinostart mit 250 Kopien geplant. Doch dann entschied die FSK in erster Instanz, daß der Film eine Freigabe erst ab 12 bekommt. Auch in der zweiten und dritten Instanz blieben die jeweiligen Gremien bei dieser Entscheidung. Dies hatte letztendlich zur Folge, daß der Start verschoben wurde. Durch diese Verzögerung und entstandene Unsicherheit – erst am 18. Mai erhielt der Film durch Wiedervorlage in leicht veränderter Fassung eine FSK 6 – lief der Film dann im Sommer an, mit nur 50 Kopien und ohne neue Werbung. „Die grüne Wolke“ avancierte unter diesen Voraussetzungen zu einem echten Kinoflop.
Sein Vorschlag ist. Die grobschlächtige Einteilung der Altersstufen neu zu überdenken, denn sie entsprechen dem heutigen Entwicklungsstand der Kinder nicht mehr. Eine „Elternreglung“ sei nicht sehr sinnvioll, denn Zehnjährige z.B. fänden es „uncool“, mit Mama und Papa ins Kino zu gehen.

FSK-Freigaben sind wichtig, meinte Uschi Reich, wir sollten die Verantwortung nicht ganz und gar an die Eltern abgeben. Problematisch fände auch sie die zu grobe Einteilung, wie etwa der Schritt von 12 zu 16 bzw. 6 zu 12. Christiane von Wahlert gab zu bedenken, daß eine noch kleinteiligere Altersdifferenzierung eine noch extremere Regulierung zur Folge hätte.

Gabriele Rosslenbroich mache zweierlei Erfahrungen: Einerseits beschweren sich oft Lehrer und Erzieher, daß eine Freigabe zu niedrig angesetzt worden wäre und deshalb Kinder mit einem Film völlig überfordert gewesen seien. Auf der anderen Seite sähen Eltern nicht ein, daß sie kein Mitspracherecht hätten und mit ihrem Kind zusammen nur Filme mit der entsprechenden Freigabe sehen dürften. Die Diskussionen spielen sich dann an der Kinokasse ab.

Interessant war die Frage, ob eigentlich die Kenntnis der FSK-Richtlinien bereits bei der Förderung von Filmprojekten und bei der Entwicklung von Stoffen eine Rolle spiele. Brigitta Manthey verneinte dies. Es seien nach wie vor die Fragen, was ist ein Kinderfilm, was sind die heutigen Sehgewohnheiten, die Fördergremien beschäftigen, nicht welche Altersstufen werden berücksichtigt. Und der Schwerpunkt liege nach wie vor darauf, wie eine Geschichte erzählt sei. Wir wollen nicht die kreativen Impulse abblocken, sondern fördern.

Mit Beifall wurde der Einwurf von Prof. Dieter Wiedemann bedacht. Er fragte, warum der Gesetzgeber den Kinobesuch regeln müsse, und warum es nicht reicht, Altersempfehlungen zu geben. Das befürwortete auch Claus Strigel und fügte hinzu, daß dann auch der Ehrgeiz bei Kindern reduziert werden würde, sich heimlich in Vorstellungen ab 12 oder ab 16 zu „schleichen“.

Alles in allem zeigte das Für und Wider in der Diskussion, daß hier Handlungsbedarf besteht, ohne gleich Entscheidungen über’s Knie zu brechen. „Das wahnsinnig Schöne an den Medien ist, daß sie Freiheit eröffnen“, meinte Christiane von Wahlert am Ende des Forums. Die sollte durch zu enge und teilweise überholte Reglementierungen auch nicht eingeengt werden, dachten sicher viele Tagungsteilnehmer bei ihrem Schlußapplaus.