Forum 3: Unterfordert - Überfordert: Was können Kinder?

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Version vom 15. April 2009, 09:33 Uhr von Admin (Diskussion | Beiträge)

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Etwas abgewandelt hatten die PIXEL-Kids vom Offenen Kanal Gera die Frage, nämlich so: Was können Kinder ... mehr als Erwachsene? Das Video der Reporterkinder stimmte die Teilnehmer gut auf das dritte Forum der Kinder-Film&Fernseh-Tage ein. Die Umfrage ergab: Kinder können besser „improvisieren, nachdenken, die Kletterstange hochklettern, tanzen, Computer spielen, Fahrradfahren und herumprobieren“. Außerdem könnten sie besser Trickfilme gucken. „Die sind nichts für Erwachsene“, meinte ein Junge und fügte hinzu: „Erwachsene sollen Nachrichten sehen“ ...

Leider stand nicht die Überforderung der Erwachsenen im Mittelpunkt des dritten Forums, sondern die der Kinder. Das erste Statement dazu lieferte PD Dr. Gerhild Nieding vom Psychologischen Institut der Universität Münster. Sie stellte neuere Theorien und empirische Befunde zur Entwicklung des Verstehens von Spielfilmen bei Kindern vor. Diese Untersuchungen wurden vor allem während der Rezeption von Filmen durchgeführt.
Dabei zeigen die Forschungsergebnisse deutlich, dass insgesamt Vorschulkinder kompetenter sind, als es herkömmliche Lehrmeinungen annehmen. So können z.B. bereits 5-Jährige Werbung von anderen Programmen unterscheiden, 8-Jährige benötigen dafür nur noch eine Minute. Allerdings fällt ihnen dabei schwer, die Verkaufsabsicht der Werbung zu durchschauen. Außerdem sind es nicht die formalen filmischen Mittel, wie hohe Schnittfrequenzen, die per se die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich lenken, sondern deren inhaltliche Ausrichtung. Beim Verstehen von Geschichten wurde festgestellt, dass bereits 5jährige Kinder in der Lage sind, während der Filmrezeption Schlussfolgerungen zu ziehen, die im Film nicht dargestellt werden.
Zu den Defiziten zählte Dr. Gerhild Nieding u.a., dass Kinder erst mit 5 Jahren verstehen, dass die Überzeugungen von Menschen von der Realität abweichen können. Ein Fakt, der unbedingt zu beachten ist, zumal Geschichten ja gerade mit diesen Strukturen spielen. Andererseits hilft die Rezeption von Geschichten dabei, diese Fähigkeit zu entwickeln.

In einem zweiten Vortrag ging es um die Text-Rezeption von Kindern. Birgit Guth, die Leiterin des Bereichs Medienforschung bei Super RTL, hatte sich mit dieser Thematik beschäftigt, als Super RTL das Print-Magazin „Toggo“ für seine acht- bis zwölfjährigen Zuschauer herausgeben wollte. Das Wissen um die Text-Rezeption von Kindern ist aber auch für die Gestaltung der Websites oder für Plakate sowie für Crawls, die während der Sendung eingeblendet werden, wichtig. Festgestellt haben sie bei ihren Untersuchungen, dass Kinder immer wieder mit Texten konfrontiert werden, die sie überfordern. Wichtig ist zu beachten, dass Grundschulkinder noch sehr langsam lesen und schreiben, dass sie erst ab ungefähr zehn Jahren Oberbegriffe und Fremdwörter verwenden, Geheimcodes und Modewörter sogar erst ab zwölf. Deshalb sei der direkte Kontakt zur Zielgruppe unerlässlich. Je jünger die Kinder, desto kürzer und einfacher sollte der Satzbau sein. Fremdworte wie z.B. „Highlight“ sollten in gedruckten Texten erst dann vorkommen, wenn Kinder im Unterricht Fremdsprachen lernen. Wichtig sei zu beachten, in welchem Medium Texte veröffentlicht werden; in der gesprochenen Sprache können z.B. Sätze auch mal länger, auf einer Website dagegen sollten sie kurz gefasst sein. Gerade bei Computerspielen und Einblendungen im Fernsehen müsste die Leseund Schreibgeschwindigkeit von Kindern beachtet werden, und als Erwachsener, also Außenstehender, sollte man nicht versuchen, die Umgangssprache der Kinder zu imitieren und sich bei ihnen anzubiedern. Sprachlich unterfordert seien Kinder seltener. Vielleicht bei den Teletubbies, auf jeden Fall dann, wenn man mit einer zu einfach strukturierten Sprache an sie herantritt. Kinder müssten auch immer etwas dazu lernen können.

Zur anschließenden Podiumsdiskussion waren neben den beiden Referentinnen auch die ZDFRedakteurin Margrit Lenssen und Dr. Matthias Huff, Redaktionsleiter vom Kinderkanal, eingeladen. Die Geschäftsführerin der Stiftung „Goldener Spatz“, Margret Albers, moderierte.
Zunächst legte Margrit Lenssen dar, dass die Sendereihe „Löwenzahn“ eine langsame Bildsprache hat, damit die Kinder die dargestellten Zusammenhänge auch verstehen. Dass dies gelänge, bewiesen die vielen Rückmeldungen (1000 Mails, 500 Briefe). Meist würden die Kinder bei dem Gesehenen anknüpfen und Fragen stellen, die darüber hinaus gehen.

Dr. Matthias Huff stellte das neue Programmformat des Kinderkanals „Kikania“ vor, dass im Mai 2001 gestartet wurde, und berichtete von den Erfahrungen, die dort in der Zusammenarbeit mit Kindern gemacht wurden. „Kikania“ ist eine Spielshow, in der „Kinder im Studio mittels einer Blue-Box in PCSpiele versetzt“ werden. In diese Sendung sind auch die Zuschauer eingebunden. Sie können sich „via E-Mail über die KI.KA-Website und deren Videotext oder die traditionellen Kommunikationswege Brief, Telefon und Fax direkt an der Sendung beteiligen“. Für die Redakteure und Macher dieser Sendung sei dies natürlich eine Herausforderung, arbeiten sie doch permanent mit ihrer Zielgruppe. „Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus“, meinte Dr. Huff. „Wir sind verblüfft, wie selbstverständlich die Kinder das Medium Fernsehen benutzen, wie sie in der Lage sind, Statements abzugeben und frei zu sprechen.“ Hemmnisse entwickelten sich meist dort, wo sie nicht vermutet wurden. So wäre es eine neue Erfahrung, dass Kinder Schwierigkeiten haben, sich schnell mit den Begriffen links/rechts zu orientieren. Insgesamt schätzte Dr. Matthias Huff ein, sei das Risiko der Unterforderung größer als das der Überforderung.

In der Plenumsdiskussion richteten sich die meisten Fragen an Dr. Gerhild Nieding. Dabei ging es hauptsächlich um die Fähigkeiten von Kindern im Umgang mit dem Medium Fernsehen. Ob Kinder ein besseres Verständnis für die Bildsprache entwickeln, wenn sie viel Fernsehen sehen, verneinte Dr. Nieding ganz klar. Ein mittleres Maß sei nach wie vor das Beste. Es sei auch ein Trugschluss, dass sich die kognitive Verarbeitungsfähigkeit verbessern ließe, wenn Kinder schon in einem sehr frühen Alter mit Fernsehen oder Filmen konfrontiert werden. Kinder könnten zwar schon sehr früh Realität und Bild unterscheiden, hätten aber große Schwierigkeiten, innerhalb einer Geschichte zwischen Täuschung und Realität zu unterscheiden.
Auf die Frage, ob Kinder nicht verstärkt eine Schwarz-Weiß-Zeichnung benötigen, eine genaue Einteilung in Gut und Böse, meinte Dr. Nieding, dass Kinder selbst diese Unterscheidungen vornehmen würden und deshalb fraglich sei, ob Filmemacher von vornherein mit Stereotypen arbeiten sollten. Dr. Huff sprach von seinen Erfahrungen, die gezeigt hätten, dass Kinder es akzeptieren, wenn der „Böse“ differenziert dargestellt werde, „die Helden aber nicht angekratzt werden dürfen“.

In der Schlussrunde, in der es um die Strategie, wie man Kinder fordert, ohne sie zu überfordern, ging, wurde von den Podiumsgästen noch einmal unterstrichen, dass die wichtigste Vorraussetzung für eine solche Strategie immer der enge Kontakt zu den Kindern ist. Ihr Wissensstand ist zu nutzen, daran anzuknüpfen und „noch eins drauf zu geben“, denn Kinder wollen gefordert werden. An allererster Stelle aber steht der Spaß am Wissenserwerb, eine Regel, die gern außer Acht gelassen wird.