Kinder-Film&Fernseh-Tage 1998

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Qualität ohne Erfolg - Erfolg ohne Qualität?

Zusammenfassung

Rückblick

  • Maya Götz

Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI)

Es war der 2. September 1998, das Thema: „Erfolgreiche Formate kindgerecht? Comedy und Soaps für Kinder“. Es diskutierten Dieter Saldecki (WDR) und Christa Streiber (MDR) mit Ralf Gerhardt und Dirk Völler (Pacific Productions), und ich erinnere mich noch sehr genau, wie ein grummelnder Dieter Saldecki mir auf dem Weg zum Podium zusteckte: „Wir machen keine Soap! Und mit den Kollegen von der privaten Unterhaltung diskutiere ich nicht!!“ Frisch aus dem Elfenbeinturm in die Wirklichkeit des Kinderfernsehens geworfen, war ich beeindruckt und verwirrt. Wieso meint dieser Redakteur, SCHLOSS EINSTEIN – ganz offensichtlich eine Formatadaption aus dem Erwachsenenprogramm – sei so völlig verschieden oder gar ein Bollwerk gegen das private Kinderfernsehen? Und warum ist das überhaupt ein Problem? Von Anspruch und überraschender Wirklichkeit bei einer Soap für Kinder Zehn Jahre danach – ich habe Dieters Art kennen, schätzen und vermissen gelernt – scheint vieles aus heutiger Perspektive geklärt, selbstverständlich und doch hochaktuell. Das Anliegen war gut nachvollziehbar. Die Hitlisten der damaligen Zeit zeigten für Vorschulkinder die MAUS, die MAUS und die MAUS, und auch bei den Sechs- bis Neunjährigen war die Welt mit diversen Zeichentrickserien noch in Ordnung. Bei den Zehn- bis 13-Jährigen geriet sie dann aus der Fassung, denn hier dominierte GUTE ZEITEN, SCHLECHTE ZEITEN, besonders bei den Mädchen. Was lag also näher, als eine Soap fürs Kinderfernsehen zu produzieren? Ein Zusammenschluss mehrerer ARD-Anstalten unter Federführung des MDR nahm das Abenteuer auf sich, mit und für Kinder die Soap SCHLOSS EINSTEIN zu produzieren. Verwirrenderweise betonten die Verantwortlichen jedoch vehement, es handle sich nicht um eine Soap Opera und schon gar keine Daily Soap, sondern eine Kinder-Weekly. Begriffsklauberei oder der Versuch, dem Kind einen weniger verrufenen Namen zu geben? In der damaligen Diskussion schien es eher Ersteres, vermutlich in Vorausnahme einer kritischen Diskussion in der Öffentlichkeit und unter Kolleg/innen. Es steckt wohl aber auch das Selbstverständnis dahinter, dass man eben nicht so etwas „Plattes“ wie GZSZ machen wollte, sondern etwas mit Substanz und dem dramaturgischen Wissen von Qualitätskinderfernsehen. Interessanterweise erwies es sich dann in der Rezeptionsstudie als richtig, denn Kinder gehen mit SCHLOSS EINSTEIN eher wie mit einer klassischen Kinderserie denn einer Daily Soap um, selbst wenn es täglich gesendet wird. Aus „richtigen“ (also erwachsenen) Daily Soaps bilden die großen Katastrophen, Intrigen und Schicksalsschläge für Kinder eher grobe Projektionsflächen, im Mittelpunkt stehen die Charaktere. Bei SCHLOSS EINSTEIN projizieren die Kinder ihre Themen hingegen genau in die einzelnen Szenen und kleinen Geschichten. Der entscheidende Punkt: Hier sind Kinder unter sich, lösen gemeinsam ihre Probleme und gestalten ihren Alltag. Erwachsene bilden den notwendigen Rahmen, der sicherstellt, dass keine wirklich verletzenden Übergriffe möglich sind. Es geht eben nicht wie bei der Soap Opera um die ständigen Katastrophen, die nur von kurzen Phasen der Harmonie durchbrochen werden, bei SCHLOSS EINSTEIN sind die Sicherheit und Handlungsmächtigkeit der Kinder das Entscheidende. Insofern war im Blick zurück die Betonung des Unterschieds dann doch mehr als bloße Wortklauberei. Auf der anderen Seite hat die Serie erst dann Spitzenquoten eingefahren, als sie mit über 500 Folgen als Quasi-Endlosserie täglich und in Doppelprogrammierung auf dem KI.KA gesendet wurde. Erst so brachte sie den Gebrauchswert, den auch die „richtige“ Daily Soap für Kinder so attraktiv macht: Tägliche Verlässlichkeit für Rituale und parasoziale Freundschaften, denn nun kommen jeden Tag die Freunde aus SCHLOSS EINSTEIN zu einem nach Hause. Was wir damals als Drahtseilakt zwischen „pädagogischer Verantwortung“ und Erfolg diskutierten, hat sich insofern mittlerweile als „gelungen“ bestätigt.

Sind Adaptionen aus dem Erwachsenenbereich sinnvoll und Erfolg versprechend? Die Grundfrage aber bleibt: Wie weit ist es sinnvoll und notwendig, erfolgreiche Formate aus dem Erwachsenenprogramm für das Kinderfernsehen zu adaptieren? In den Folgejahren wurden immer wieder Ansätze angedacht, manchmal schnell wieder eingestellt, manchmal aber auch dauerhaft übernommen. Schon vor SCHLOSS EINSTEIN hatte sich zum Beispiel RTL2 und später auch der KI.KA an die Adaption der nachmittäglichen Talkshow für Kinder gemacht. Auch wenn Kinder und Jugendliche diese Umsetzung im Test durchaus als ansprechend beurteilten, so zeigten die Quoten dann aber doch den Mangel an Akzeptanz. Ein möglicher Begründungsansatz liegt nicht auf der Seite der Produktion, sondern der Rezeption: „Richtige“ Talkshows funktionieren gerade durch ihre zur Schau gestellten Extreme. Die Zuschauenden stehen quasi immer dazwischen, denn ganz so krass wie im Fernsehen sind sie und ihre Einstellungen im Normalfall nicht. Dies ermöglicht ein Sich-selber-Positionieren, bei dem sie aber nicht aus dem sozial Akzeptierten herausfallen – denn so schlimm sind sie ja nicht. Bei der Umsetzung ins Kinderfernsehen stößt eine gezielte Polarisierung und Inszenierung von Extremen schnell an moralische und ethische Grenzen. Insofern eignet sich das Format nachmittäglicher Talkshows eben nicht zur Adaption. Bei anderen Formaten hat es dann wiederum sehr gut geklappt. Die Umsetzung von WER WIRD MILLIONÄR? in z. B. DIE BESTE KLASSE DEUTSCHLANDS ist ohne Frage sinnvoll und gelungen, denn Wissen zeigen, Mitraten und Mithoffen funktionieren unabhängig vom Alter und sind pädagogisch erwünscht. Ähnliches gilt auch für diverse Varianten der Doku-Soaps, denn wenn es nicht nur um das Hausbauen, sondern um EIN PLATZ FÜR HELDEN (KI.KA) oder STARK!(e) (ZDF/KI.KA) Kinder geht, ist die Attraktivität für das Publikum bei einer kinderaffinen Adaption deutlich höher. Adaptionen ermöglichen aber auch eine Erweiterung der Erwachsenenformate, wie sich an dem Beispiel der Castingshows zeigen lässt. Adaptionen wie BESTE STIMME GESUCHT (KI.KA) oder DER KIDDY CONTEST (Super RTL) greifen eben die Momente auf, die für Kinder besonders positiv sind, und können die pädagogisch problematischen Bereiche wie die Abwertung einzelner Kandidaten umgehen. Nicht zuletzt mit DEIN SONG (ZDF/KI.KA), zieht das Kinderfernsehen die Castingformate eine ganze Liga höher. Hier wird das Medium Fernsehen noch um Enden konsequenter als Möglichkeit zur Umsetzung eigener Fähigkeiten und Kreativität genutzt. Insofern ist die damals gestellte Frage nicht nur nach wie vor aktuell, sie muss auch immer wieder neu entschieden werden. Mit dem zweiten, explizit diskutierten Format legte das Forum dabei einen Finger in die klaffende Wunde des deutschen Kinderprogramms. Comedy für Kinder ALLES KLAR (Nickelodeon) war ein Versuch, mehr Humor von Kindern für Kinder ins Fernsehen zu bringen. Die Idee war, mit Kindern zusammen eine Show auf die Beine zu stellen, die bei dem ansetzt, was im Alltag, auf Klassenfeiern oder im Ferienlager stets ein absoluter Erfolg ist: Sketche. Produzent und Vorbild war die Crew von SAMSTAG NACHT (RTL) und sie produzierte, worüber Kinder so richtig lachen können – inklusive Pupsen, Popeln und Kotzen. Leider war zu dem Zeitpunkt des Forums der produzierende Sender wieder eingestellt worden und der Ansatz fand erst Jahre später durch Ralf Gerhardt, nun Programmverantwortlicher bei Disney, seine weitere Umsetzung. Insofern ist ein „Was wäre wenn?“ schwer abzuschätzen. Die Idee war auf jeden Fall lohnenswert, denn mehr Humor im Kinderfernsehen konnten und können wir gut gebrauchen. Leider ist es aber nicht so einfach, denn bekanntlich lachen Kinder nicht nur mehr, sondern auch über ganz andere Dinge als Erwachsene. Da aber eben diese im Normalfall die Produktionsmacht in der Hand halten, ist hier eigentlich viel mehr zu leisten als eine bloße Adaption. Denn schon an sich ist kaum etwas so schwer zu schreiben wie Lustiges, und dann auch noch für eine Zielgruppe, die einfach anders lacht. Es sind seitdem immer wieder Versuche gestartet worden, sowohl Profis aus dem Erwachsenenbereich zu engagieren als auch mit Kindern selber Lustiges herzustellen. Dauerhaft finden sich vor allem erwachsene Comedians, mal im Ganzkörperkostüm, mal ohne, mal lustiger, mal weniger lustig. Nicht zuletzt die Tatsache, dass der Comedy-Charakter des deutschen Kinderfernsehens ein depressives Toastbrot ist, spricht aber dafür, dass es uns hier nicht leicht fällt, Leichtes und Lustiges zu erzählen. Derzeit kommen die für Kinder am lustigsten Formate eher aus dem Hause Disney oder aus dem Nickelodeon-Netzwerk und die deutsche Kinderfernsehproduktionslandschaft sucht nach wie vor nach dem goldenen Ei, um nicht nur im Keller herzlich zu lachen.



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