Walter Beck
Dreißigjähriges Jubiläum lädt zum freundlichen Rückblick auf frühe Jahre. Im Februar 1979 kommt das Geburtstagskind in die Welt als „Nationales Festival GOLDENER SPATZ für Kinderfilm und -fernsehen der DDR“. Erkennbar sind Wurzeln.
Hauptwurzel ist die hochentwickelte kontinuierliche Produktion von Filmen für Kinder des Landes. Zuwendung zu Kindern gehört bei der DEFA schon am Gründungstag, dem 17. Mai 1946, zu dessen Wesen. An diesem Tage dreht man schon seit zwei Wochen an dem Film IRGENDWO IN BERLIN. Es folgen danach weitere ‚bedingte Kinderspielfilme’. Im Herbst 1952 finden sich DEFA-Filmemacher zu einer Gruppe zusammen, um ‚unbedingte Kinderspielfilme’, Filme speziell für Kinder, zu machen. Seitdem besteht ein Viertel der Gesamtproduktion des Studios für Spielfilme aus Filmen für Kinder. Das DEFA-Studio für Trickfilme hat einen noch höheren Anteil an Filmen für Kinder. Auch das Studio für Dokumentarfilme und das Studio für populärwissenschaftliche Filme produziert Filme dezidiert für Kinder. Später kommt das Fernsehen der DDR als Produzent dazu. Erfolg und Anerkennung all dieser Filme wächst weit über die Grenzen des Landes hinaus. Dieses große Angebot bedarf eines eigenen Festivals.
Eine andere Wurzel ist die „Kinder- und Jugendfilmwoche der DDR“, die 1966 auf Initiative des Präsidenten des „Nationalen Zentrums für Kinderfilm und -fernsehen der DDR“, Helmuth Häntzsche, entsteht. Die ‚Woche’ führt jährlich Kinderfilmemacher mit Zuschauer-Kindern, Pädagogen und auch internationalen Gästen zusammen. Die ‚Woche’ findet zunächst in Halle statt. Später siedelt sie in Erfurt, Neubrandenburg, schließlich in Gera. Hier trägt sie erstmalig die eindeutige Kennzeichnung „Kinderfilmwoche“, womit die irritierende Unschärfe der Trennung vom Jugendfilm endlich korrigiert wird.
Weitere wichtige Wurzel ist die langjährig intensive Zuwendung zum Film für Kinder seitens der Bezirkfilmdirektion Gera. Deren damaliger Direktor Rainer Otto veranlasst, dass am 5. Februar 1968 die „1. Kinder- und Jugendfilmwoche des Bezirkes Gera“ eröffnet werden kann. Der Graphiker Rolf F. Müller entwirft dazu das Plakat. Es zeigt einen Spatzen. Von Jahr zu Jahr bekommt er Nachwuchs. Schließlich tummeln sich zehn Spatzen auf dem Plakat. Denn die für einen Bezirk herausragende Aufmerksamkeit gegenüber dem Film für Kinder bleibt in jährlichen Editionen erhalten und wird gar gesteigert. So nimmt es nicht wunder, dass 1979 die Entscheidung für Gera als ständigen Ort für das Nationale Festival fällt. Dem fruchtbaren Spatzen verdankt das Festival seinen Namen.
In Gera treffen sich nun alle, die dem Film für Kinder verbunden und besonders zugetan sind. Die Kinderfilmemacher der verschiedenen Herstellerbetriebe haben sich demselben Adressaten verschrieben, begegnen sich aber zwei Jahre hindurch selten bis gar nicht. Das Festival wird zum Beziehungsnetz, weitgespannt zwischen Filmemachern, Zuschauerkindern, Lehrern, Eltern, Distributoren und Filmtheoretikern. Die mannigfachen Verhältnisse zwischen diesen Teil- und Anteilhabenden gleichen einem vielfältigen Geflecht mit einer Fülle von Knotenpunkten. Das Geburtstagskind ist damals biennaler Höhepunkt des Kinderfilmschaffens der DDR. Die neuen Filme für Kinder werden gezeigt, verglichen und die besten auch ausgezeichnet. Die Kinderjury äußert ihre erlebnisorientierten Zuschauer-Ansichten. Die Fachjury bewertet professionell die Entwicklung und die Tendenzen im Film für Kinder der jeweils letzten beiden Jahre. Sie leistet allemal außer der Preisvergabe auch gründliche und ausführliche Einschätzung des biennalen Gesamtangebots. Mit solchem Brauche steht das Festival einzig da. Dabei wird versucht, inneres Wachstum des ‚Films für Kinder’ auszuforschen und Bedingungen aufzufinden, die dieses Wachstum fördern, sowie Faktoren bloßzulegen, die es hemmen.
Der GOLDENE SPATZ jener Jahre ist kein Markt, sondern wesentlich ein Arbeitsfestival, auf dem es einzig um eine wichtige Kunst für Kinder geht. Die Kinderfilmemacher verständigen sich in konstruktiver und fruchtbarer Diskussion über ihre spezifischen Probleme. An jedem Abend gibt es Fachgespräche. Anfangs allgemeine und spontan kritische Betrachtungen zu den vorgeführten Filmen, werden diese Gespräche schon 1981 jeweils unter ein spezielles Thema gestellt, das sich als wichtig für weitere Orientierung anbietet. Seit 1985 finden an jedem Festival-Abend zunächst zwei, später gar drei Fachgespräche gleichzeitig statt. Es werden betont thematisierte Veranstaltungen angeboten, Fachgespräche, die sich mit der theoretischen Substanz des Films für Kinder beschäftigen. Es ergeben sich befördernde Auseinandersetzungen um die Kriterien von Kunst für Kinder. Kontroverse Lebendigkeit und tendenzielle Zukunftsorientierung werden gewonnen. Die Diskussion klärt Positionen, stimuliert und belegt gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Meinungen sollen nicht nur ausgetauscht werden. Sie sollen Änderungen bewirken. In diesem Sinne wird das Festival ein Umschlagplatz von schöpferischen Ideen und produktiven Meinungen. Die Streitkultur kommt einen Schritt vorwärts. Das Festival wird zur ‚Werkstatt’. Handwerk ist zu sichern. Kunst ist zu gewinnen. Aus dem Besten des Erarbeiteten wächst den Kinderfilmemachern Stolz und Kraft zu. Kunst braucht Ermutigung. Das Festival kann ermutigen. Hier ist eine seiner wichtigsten Aufgaben. Die Atmosphäre dazu ist dort und damals gegeben. Sie ist wesentlich familiär. So kann sich das Festival damals rasch zu einer Art Treffen einer Großfamilie entwickeln. Ich grüße zum 30. Jahrestag alle Familienmitglieder!